Einzigartige Kirche aus der Frühzeit der Gotik
somit kulturhistorisch bedeutsames Bauwerk.
Ältester Kirchenbau im Hanauer Land.
Die erste urkundliche Erwähnung der heutigen Rüdigheimer Dorfkirche datiert
am 22.11.1235. In dieser Urkunde schlichtet der für einige Wetterauische
Dörfer zuständige Propst von Sankt Mariengreden in Mainz den Streit zwischen
Helfrich und Henrich von Rüdigheim um das Patronatsrecht der Rüdigheimer
Kirche. Die Entscheidung fiel zu Gunsten von Helfrich aus. Nach einer
Urkunde vom 17.5.1257 schenkten Helfrich von Rüdigheim und seine Kinder dem
Johanniterorden das Patronatsrecht. Ein Jahr später bestätigt der Mainzer
Erzbischof Gerhard die Schenkung von Patronatsrecht und Grundbesitz an den
Orden. Im Jahre 1313 wird Helfrich von Rüdigheim in einer Urkunde
Großmeister des Johanniterordens in Deutschland genannt.
Den Baubeginn der Kirche muss man um 1100 ansetzen. Um 1260 wurde die Kirche
von den Johannitern auf den heutigen Umfang ausgebaut.
Schutzpatronin der Kirche war die Hl. Maria, Mutter Gottes.
Die Reformation in Hanau 1548 und der Übertritt des Hanauer Grafen zum
reformierten Bekenntnis 1596 hat das Innere der Kirche verändert. Bekannt
ist, dass die Altarplatte in den Boden gesetzt wurde und ein Holzaltar an
seine Stelle trat, und das der Orden rechtzeitig einen goldenen Kelch und
acht Messingleuchter retten konnte. Außerdem verschwanden mit der
Reformation ein Hochaltar und ein Seitenaltar.
Im dreißigjährigen Krieg wurde Rüdigheim wie viele andere Dörfer unserer
Region zerstört. Nach dem Wiederaufbau wurde bereits 1657 das Dorf von einem
Brand heimgesucht, der auch auf die Kommende und das Dach der Kirche
übergriff. Die Reparatur der Kirche ging danach nur sehr zögerlich voran, da
der baulastpflichtige Orden durch die Wiederherstellung der Kommende sehr
belastet war. Die Verhandlungen über eine gründliche Renovierung zogen sich
mehr als hundert Jahre hin.
Im Jahre 1642 starben die Grafen von Hanau-Münzenberg aus. Nach der Erbfolge
fiel die Grafschaft danach an das Haus Hanau-Lichtenberg, das der
lutherischen Konfession angehörte und folglich die Gründung lutherischer
Gemeinden in der gewonnenen Grafschaft begünstigte. 1670 wurde auch in
Rüdigheim eine luth. Gemeinde gegründet, die sich 1683 endgültig von der
reformierten Gemeinde trennte und kurz darauf eine eigene Kirche im barocken
Stil erbaute.
Die neue Kirche wurde bald mit zwei Glocken und einer Orgel ausgestattet,
was natürlich Neid und Streit mit der reformierten Gemeinde aufkommen ließ,
die nur eine Glocke und keine Orgel besaß. Manchmal ging der Streit zwischen
Lutheranern und Reformierten blutig aus.
Die Hanauer Union von 1819 vereinte wieder beide Gemeinden, die prächtige
Ausstattung der lutherischen Kirche wurde verkauft (u. a. eine große, recht
neue Orgel nach Steinheim), die Kirche abgerissen und aus ihren Steinen das
ehemalige Schul- bzw. Rathaus gebaut. Die Glocken wurden 1845 im neuen Turm
der alten Kirche aufgehängt.
Bis 1746 befand sich links neben dem Chorraum der alten Kirche noch eine
Sakristei, die wahrscheinlich mit einer eigenen Glocke versehen war
(vielleicht die Totenglocke - der Friedhof war bis 1920 hinter der Kirche).
Sie wurde abgerissen und mit den Steinen die Mauer zwischen Kommendshof und
Friedhof gebaut.
Das wurde nötig, nachdem mehrmals Schweine der Kommende auf dem Kirchhof die
Gräber aufwühlten
Die erste gründliche Renovierung nach dem dreißigjährigen Krieg fand erst um
1789 statt, als der Innenraum der Kirche neu gestaltet wurde. Es wurde eine
Empore gebaut, die sich an der West-, Süd- und Ostwand entlang zog; die vom
Ostheimer Orgelbauer J. G. Zinck gebaute Orgel wurde auf die Ostempore über
den Altar gestellt.
Bereits 1839 veränderte die Kirche wieder ihr Gesicht: Damals wurde eine
Empore mit zwei Flügeln rechts und links gebaut, die Orgel an ihren heutigen
Platz gestellt, das Kirchenschiff etwa 80cm aufgeschüttet (wahrscheinlich um
den großen Höhenunterschied zwischen Gemeinderaum und Altarraum zu
überwinden) und der Eingang von der Süd- auf die Westseite verlegt. Außerdem
erhielt die Kirche den jetzigen Turm und einen neuen Giebel mit neugotischen
Fenstern, die an die Stelle einer Rosette traten. Die nächste große
Renovierung erfolgte im Jahr 1957. Die selbst auferlegte Diktion, den
ursprünglichen Zustand der Kirche wieder herzustellen, wurde nach damaligem
Erkenntnisstand sehr gut verwirklicht: Die Seitenemporen verschwanden, es
wurde eine feste Bestuhlung mit Mittelgang eingebaut, die alte Altarplatte
ersetzte den Holzaltar von 1840, der Taufstein, der lange Zeit als
Viehtränke auf dem Rüdigheimer Hof diente, bekam seine alte Bestimmung
zurück, alte Wandmalereien wurden freigelegt und aufgefrischt.
Auch wenn man heute viel mehr Informationen über die tatsächliche Bauweise
gotischer Kirchen weiß und ganz andere Ansprüche an Restaurierungen
historischer Gebäude stellt, ist die Renovierung von 1957 hoch anzuerkennen,
da sie im Gegensatz zu Renovierungen anderenorts nicht viel Wertvolles
unwiederbringlich zerstört hat, sondern mit Liebe und Sorgfalt versucht hat,
den alten Reiz unserer Kirche wiederherzustellen.
Die Kirche wurde letztmalig in den Jahren 2010-2013 grundauf saniert und erstrahlt heute
in innen wie außen in festlichem Gewand.
Rundgang
Auf dem Weg zum Eingang sieht man rechts an der Südseite den alten Eingang,
der frühgotische Formen zeigt. Geht man am heutigen neugotischen Portal
vorbei nach rechts, entdeckt man am Chorraum noch sichtbare Zeichen der
ehemaligen Sakristei. Im vorderen Teil der Kirche kann man auf beiden Seiten
auf halber Höhe der Wand eine Baufuge erkennen, die wahrscheinlich auf die
Höhe des ersten Kirchbaus an dieser Stelle schließen lässt.
Im Inneren der Kirche finden wir gleich rechts vom Eingang eine
Gedächtnisplatte, die Johann Jost Christ, der Schaffner der Kommende, zu
Ehren seiner verstorbenen Frau und in Gedenken an die von ihm durchgeführte
Wiederherstellung der Kirche nach dem dreißigjährigen Krieg aufstellen ließ.
Die Schrift ist leider zu einem großen Teil abgefallen, da der Stein von
1840 bis 1957 als Verschlussplatte des ehemaligen Portals dienen musste und
so Wind und Wetter ausgesetzt war.
Etwas weiter finden wir auf der rechten Seite eine kleine Nische in der
Wand, die vielleicht in der ersten Kirche eine Funktion hatte und daher
eventuell auf deren Höhe schließen lässt.
Im Altarraum rechts vorne befindet sich in der Wand eine Sitznische, dort
stand bis zur Reformation der Marienaltar. Links davon sehen wir den
ehemaligen Sakramentsschrank, links gegenüber den Grabstein des Komturs
Philipp von Riffeberg (Reifenberg), der 45 Jahre lang Komtur im Rüdigheimer
Kloster war und 1495 gestorben ist.
Bis in das Jahr 1457 hatte Rüdigheim keinen Pfarrer, sondern die Pfarrstelle
wurde vom Kloster verwaltet. Da die Verwaltungsarbeit den Komtur Reifenberg
durch den ständig wachsenden Grundbesitz des Ordens überlastete, richtete er
1457 eine Pfarrstelle ein, die von der Kommende bezahlt wurde. Der Chorraum
wird von der gewaltigen Altarplatte beherrscht, die 1957 vom Boden wieder
auf einen Steinsockel gesetzt wurde. Links das Portal zur früheren
Sakristei, davor der romanische Taufstein.
Das Kirchenschiff ist in vier Joche unterteilt, zwei im Chorraum, zwei im
Vorraum. Das Kreuzrippengewölbe ist im Vorraum in Birnstattform und im
Chorraum in gekehlter Form gestaltet, was entweder auf eine spätere
Fertigstellung oder Renovierung des Chorraums schließen lässt.
Die Kapitelle im Chorraum haben alle unterschiedliche Form. Die Fenster im
Chor sind zweiteilig mit Schlussring. Das östliche Fenster ist dreiteilig
und beherrscht zusammen mit dem Altar den Chorraum. Die kleinen Fenster im
Vorraum sind ihrer Form nach im Übergangsstil zwischen Romanik und Gotik
anzusetzen. Ihre Höhe gibt allerdings Rätsel auf und lässt sich nicht
stichhaltig erklären.
Rund um die Innenwand der Kirche sind Weihekreuze gemalt. Die acht
Zacken des Kreuzes zeigen symbolisch auf die acht Länder, in denen der Orden
heimisch ist.
Es sind zwölf Kreuze - stellvertretend für die zwölf Apostel. Die Zahl zwölf
findet sich ein weiteres Mal an der Decke des Chorraums; es sind dort zehn
Sterne gemalt, und zwei Sterne liegen in Form eines Schlusssteins vor. Der
Schlussstein im Vorraum hat einen Durchmesser von 1,27m.
Das Kirchenschiff ist 23,35 m lang und 10,50 m breit. Die Höhe des
Mauerwerks beträgt 12,50 m. Der Giebel ist 7 m hoch. Darüber erhebt sich ein
neugotischer Dachreiter um 15,90 m bis zum Knauf und weitere 3,55 m bis zum
Hahn.
Die Orgel wurde 1789 gebaut, 1840 wurde eines der zehn Register
ausgetauscht. 1958 wurde ein elektrisches Gebläse eingebaut und fast der
ganze Pfeifenbestand ausgetauscht. 1974 fand eine weitere sehr unsachgemäße
Renovierung und Erweiterung der Orgel statt, die dem historischen Instrument
bis heute einen schwerwiegenden Qualitätsverlust beschert hat.
Der Glockenturm besitzt drei Glockenkammern, allerdings hängen dort seit dem
zweiten Weltkrieg nur zwei Glocken, eine kleine aus dem 19. Jh., und eine
größere von 1951. Die Glocken sind auf die Töne des und b gestimmt. Bereits
im 15. Jahrhundert wird ein Glöckner in Rüdigheim genannt.
Weitere Bilder in unserer Bildergalerie.
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Außenansicht
Außenansicht Südseite
Eingangsportal
Innenansicht mit Blick zum Altar
Innenansicht mit Blick zur Empore mit Orgel
der gotische Taufstein
der neue Altar
Blick von der Empore zum Altar (links), Lesepult und Taufstein
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